„Als Journalist in Syrien ist man immer nah daran, Regierungsgegner zu sein“

Yahya Alaous ist Journalist und Aktivist aus Syrien. Mithilfe von Reportern ohne Grenzen kamen er und seine Familie im April 2015 nach Deutschland.

Wir sitzen in der Ecke eines Dönerladens auf der Sonntagsstraße in Berlin. Yayha Alaous stapelt sein Telefon, sein Zigarettenetui und sein Feuerzeug vor sich auf dem Tisch. Er bestellt eine Zitronenlimonade. Seit über zehn Jahren ist er Journalist, schreibt unter anderem für das Onlinemagazin Syrian Observer und die panarabische Tageszeitung Al-Hayat. „Al-Hayat“, zu Deutsch „Das Leben“. Das Leben als Journalist*in in Syrien ist jedoch alles andere als einfach. Während er über Syrien und sein Leben berichtet, verschränkt er immer wieder die Arme vor seinem Körper. Ab und zu blickt er kurz unruhig aus dem Fenster. Dann wieder schweift sein Blick ins Leere.

Journalismus nur mit Regierungserlaubnis

„Syrische Medien sind die Zunge der Regierung. Es geht nicht darum zu berichten, sondern das zu sagen, was die Regierung will. Die Informationen kommen vom Informationsministerium“, erzählt der 41-Jährige. Die Bedingungen seien hart, der politische Druck ebenso wie die Verdienstmöglicheiten. Nur wenige Journalist*innen arbeiten als Freelancer. Yahya Alaous Stimme klingt fest, seine Worte wirken bewusst gewählt. Mit Nachdruck wiederholt er, dass „in offiziellen Medienhäusern eher Angestellte denn Journalisten arbeiten. Ein Journalist, der keine Erlaubnis der Regierung hat, darf nicht berichten – und einer, der sie hat, arbeitet letztendlich für die Regierung.“ Er selbst hatte keine, nachdem er 2002 wegen eines Artikels über Korruption und Menschenrechte zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. „In Syrien konnte ich kaum noch veröffentlichen“, sagt Alaous. Auch deswegen habe er das Land verlassen, das auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 177 von 180 einnimmt.

Yahya Al-Aous erklärt im Gespräch seine Sicht auf Journalismus in Syrien. Foto: Jonas Walzberg
Yahya Al-Aous erklärt im Gespräch seine Sicht auf Journalismus in Syrien. Foto: Jonas Walzberg

Damaskus – Beirut – Berlin

Mit Hilfe von Reportern ohne Grenzen konnte Yahya Alaous zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern über den Libanon nach Deutschland einreisen. Auf die Idee, nach Berlin zu kommen, brachte ihn eine befreundete deutsche Journalistin, mit der er in Damaskus in einem Netzwerk über Frauenrechte schrieb. „Sie hat uns sehr unterstützt – und ist sozusagen unsere Kontaktperson hier“, sagt Alaous und lächelt kurz. Dennoch war der Weg nicht einfach: Nach seiner Inhaftierung durfte er Syrien bis 2015 nicht verlassen. Bereits im Januar 2014 hatten Reporter ohne Grenzen über ein humanitäres Aufnahmeprogramm der Bundesregierung Visa für die Familie Alaous beantragt. An dem Tag, an dem Yahya Alaous seinen Reisepass abholen durfte, verließ er das Land. Seine Frau und die Kinder waren bereits vier Monate zuvor in den Libanon ausgereist. „Unsere Visa für Deutschland erhielten wir in der Deutschen Botschaft in Beirut. Im Gegensatz zu vielen anderen konnten wir das Mittelmeer so glücklicherweise einfach überfliegen.“ Während er spricht, legt sich seine Stirn in Falten.

Gefängnis, Folter, Tod und Verschwinden.

Reporter ohne Grenzen zufolge verließen Syrien seit 2011 mehr als 300 Journalist*innen. Yahya Alaous bestätigt, dass er viele Syrer kenne, die im Ausland und für internationale Medien tätig seien: „In Syrien können wir nichts tun. Entweder die Regierung kontrolliert alles oder man läuft Gefahr, gefangen genommen zu werden.“ Er selbst kenne viele, die im Gefängnis, verschwunden oder tot seien. „Ich habe mich auch nicht mehr getraut, unter meinem tatsächlichen Namen zu schreiben“, sagt er und rückt währenddessen auf seinem Stuhl nach vorn. Nach seiner Inhaftierung schrieb er vor allem über die Rechte von Frauen und Kindern. Das sei in den Augen der Regierung nicht ganz so wichtig. Denn unterkriegen lassen wolle er sich nicht: Er sieht sich nicht nur als Journalist, sondern auch als politischen Aktivisten. Das sei nichts Besonderes: „Als Journalist in Syrien ist man immer nah daran, Regierungsgegner zu sein, vor allem, wenn man politische Themen betreut.“ Lediglich die Berichterstattung in den Bereichen Bildung und Kultur sei etwas freier.

Einseitige Berichterstattungen

Auch vor Beginn der Proteste und des Kriegs in Syrien hatten Journalist*innen es nicht leicht. „Was mich betrifft, so habe ich meine eigene Einstellung und Meinung, die nicht jener der Regierung entspricht. Auch vor der Revolution“, sagt er nicht ohne Stolz. Die deutsche Berichterstattung über die Geschehnisse in Syrien empfindet er als zu einseitig: „Es gibt große Wissenslücken. So scheinen die Deutschen alles über Da‘sh [arabische Abkürzung für Islamischer Staat im Irak und der Levante, Anm. d. Red.] zu wissen, aber nichts über die Gesellschaft, die ganz normalen Menschen.“ Er erklärt, dass Syrien nicht terroristisch sei, sondern in einem Krieg einer Regierung gegen das Volk versunken. „Die Terroristen kamen erst danach“, ergänzt er. In Berichterstattungen gebe es immer Dinge, die fehlen, aber das wichtigste sei die Meinungsfreiheit. „In Syrien würden wir wie in Deutschland auch gern unsere Meinung äußern, berichten, was wir wichtig finden. Aber es gibt kaum Raum für Diskussionen und neben der staatlichen Zensur viel Korruption“, schließt Yayha Alaous. Sobald wie möglich, möchte er nach Damaskus zurückgehen und als freier Journalist berichten. Bis dahin versucht er, in deutschen Medien Beiträge zu veröffentlichen und ein Teil der neuen Gesellschaft zu sein. Seine Eindrücke schilderte er bereits auf sueddeutsche.de.

Yahya Al-Aous, 41 Jahre alt, steht freundlich lächelnd mit verschränkten Armen auf der Sonntagsstraße am Berliner Ostkreuz.
Der syrische Journalist Yahya Alaous floh mit Reportern ohne Grenzen aus Damaskus über den Libanon nach Berlin. Foto: Jonas Walzberg

Zitate aus dem Englischen übersetzt von Claudia Hammermüller.

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