Im Labyrinth der Asylantragsstellung

Im ersten Halbjahr 2015 wurden in Deutschland bereits über eine Viertelmillion Anträge auf Asyl gestellt. Alles ganz einfach? Von wegen. Pia Kohbrok führt in einem Workshop auf der ZukunftsTour in Hamburg durch den Irrgarten der Antragsstellung und erklärt, dass ‚Flüchtling‘ eigentlich ein genehmigter Status ist und das Menschenrecht auf Asyl nicht immer geachtet wird.

Eine Grafik erklärt den vielgliedrigen Weg von Asylanträgen.
Begriffe zuordnen: Der Weg eines Asylantrags und was an welcher Stelle zu erwarten sein kann. Foto: Claudia Hammermüller

„Was bedeutet Asyl?“ fragt Pia in die Runde. Die Frage beantwortet sie schnell selbst: „Obhut und Schutz der Menschwürde.“ Asyl bekomme jedoch nicht jede*r und wenn, dann zeitlich begrenzt, nie ein Leben lang. Pia arbeitet als freie Bildungsreferentin für Peace brigades international e.V. (pbi). Die internationale Organisation setzt sich für Frieden und die Achtung der Menschenrechte ein. Eine Grundlage dafür ist die 30 Artikel umfassende Erklärung der Menschenrechte der UN-Generalversammlung von 1948. Artikel 14 beschäftigt sich mit dem Recht auf Asyl. Forsch stellt Pia nach dieser kurzen Einführung ihre nächste Frage: „Wer bekommt Asyl?“ Die Antwort: Jeder, der durch das Antragsverfahren kommt.

Alles Genfer Konvention?

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 definiert in den Worten der Bundeszentrale für politische Bildung Asylrecht als „das Recht eines aus politischen, rassischen, religiösen oder anderen Gründen Verfolgten, an einem vor Verfolgung sicheren Aufenthaltsort Zuflucht finden zu können.“ Keine Gründe für Asyl sind somit Bürgerkriege, Naturkatastrophen, Armut oder Perspektivlosigkeit. Da es jedoch keine bindende europäische Asylregelung gibt, kann jeder Staat eigene Maßstäbe setzen. In Deutschland besteht beispielsweise die Möglichkeit, humanitären beziehungsweise subsidiären Schutz zu erhalten: „So gut wie alle Syrer erhalten diesen Status momentan“, erklärt Pia. Der Titel ist ein Jahr lang gültig und kann verlängert werden. Solange sich an der derzeitigen Situation nichts ändere, könnten die Menschen in der Regel auch in Deutschland bleiben, so 27-jährige Sozial- und Politikwissenschaftlerin.

Auf vielen verschiedenen Karteikarten wird deutlich, wie komplex die Ansylantragsstellung ist.
Im Workshop wurde der Weg von der Einreise bis zum Flüchtlingsstatus theoretisch durchlaufen. (Foto: Claudia Hammermüller)

Geflüchtete sind nicht gleich Flüchtlinge

Ein Flüchtling ist allerdings erst, wer es erfolgreich durch das Asylbewerberverfahren geschafft hat und den anerkannten Status des Flüchtlings erhält, erläutert Pia: „Geflüchtete sind nicht immer Flüchtlinge. Der Begriff führt oft zu Verwirrung.“ Wer als anerkannter Flüchtling Asyl gewährt bekommt, behält den Status für drei Jahre, mit der Möglichkeit auf Verlängerung. „Anerkannte Flüchtlinge haben die Möglichkeit ein relativ normales, selbst bestimmtes Leben zu führen – Asylbewerber nicht“, so Pia. „Nur die Schulpflicht, die gilt für jeden, auch für Geflüchtete“, ergänzt sie. Außer in Baden-Württemberg, das als einziges Bundesland ein Schulrecht, aber keine Schulpflicht hat.

Ländersache

Ziel von Asylsucher*innen sind in der Regel große Städte wie München, Frankfurt, Berlin und Hamburg. „In der Hansestadt kommen täglich um die 300 Geflohenen an“, berichtet Pia. Sie werden zunächst in die Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen (ZEA) gebracht. Dort müssen sie laut Gesetz eigentlich nur sechs Wochen bleiben, zurzeit jedoch teilweise über ein Jahr. Nach dem sogenannten Königssteiner Schlüssel werden die Schutzsuchenden anschließend auf die Bundesländer verteilt. Die Quote berechnet sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl des jeweiligen Bundeslandes. Im ersten Halbjahr 2015 registrierte Hamburg beispielsweise 18 245 Asylsuchende, von denen 8 168 im Stadtstaat verblieben. „Vom Bundesland und den jeweiligen Ausländerbehörden hängt letztendlich ab, wie die Asylsuchenden untergebracht und in welcher Form und wie oft die Leistungen des bundesweiten Asylbewerberleistungsgesetztes erbracht werden“, sagt Pia. Über den eingereichten Asylantrag selbst entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Zwei Teilnehmerinnen des Workshops sitzen vor der Wand, an der der Weg der Asylantragsstellung erarbeitet wird. Pia nimmt einer Teilnehmerin eine Karteikarte ab, um sie anzuheften.
Pia (rechts) lässt die Workshopteilnehmer*innen die Stationen bis zum Flüchtlingsstatus selbst erarbeiten. Einige der Teilnehmer*innen sind wie Hannah Hosseini (2.v.l) selbst im Bereich Asyl und Migration tätig. (Foto: Claudia Hammermüller)

Klage und Kirchenasyl

Wer abgelehnt wird, erhält die Aufforderung freiwillig auszureisen. Wer dieser Folge leistet, erhält kein Einreiseverbot für die Bundesrepublik. „Aber würdet ihr, nachdem ihr vor Hunger oder Krieg geflohen seid, freiwillig dorthin zurück gehen?“, fragt Pia in die Runde. Schweigen. Immerhin bleibe nach der Ablehnung des Antrags noch das Recht auf Klage. Die Kosten dafür müsse allerdings jede*r selbst zahlen. Ein Recht auf Hilfe gibt es nicht. Lediglich Organisationen und Initiativen wir ProAsyl, Law Clinics und lokale Flüchtlingsräte unterstützen Kläger*innen. Allerdings verlängert eine Klage den Zeitraum bis zur Zwangsabschiebung nicht, sollte ein Eilantrag abgelehnt worden sein. „Dann kann Kirchenasyl eine letzte Möglichkeit sein“, meldet sich eine Teilnehmerin des Workshops zu Wort. Hannah Hosseini arbeitet für den Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Hamburg-Ost im Bereich Migration und Asyl. Kirchenasyl sei eine Grauzone: Es werde den Behörden gemeldet, aber die Menschen seien nur auf dem Gelände der Kirche davor sicher, aufgegriffen und abgeschoben zu werden. „Die Polizei geht dafür normalerweise nicht auf Kirchengelände, sonst könnte es zu einem Konflikt zwischen Kirche und Staat kommen. Das will keiner von beiden“, sagt Hannah Hosseini.

Dublin III-Verfahren

Hinzu komme, dass alle, die sich in Kirchenasyl befinden, nicht als untergetaucht gelten. Das ist von Bedeutung, wenn die Person in einem anderen Land als Deutschland angekommen und registriert wurde. Denn das europaweit gültige Dublin-Verfahren legt fest, dass ein Asylantrag in dem Land gestellt werden muss, in dem die Ersteinreise erfolgte. Wer in Italien registriert wurde, aber in Deutschland einen Asylantrag stellt, kann nach Italien zurück gebracht werden. „In Fällen des Kirchenasyls bleibt die sechsmonatige Frist für die Überstellung in den anderen Staat bestehen, und nicht eine 18-Monatsfrist wie für Menschen, die als untergetaucht gelten“, erklärt Hannah Hosseini. Nach Ablauf der Überstellungsfrist fällt die Zuständigkeit an das Land der Antragsstellung. Auch hier bestätigen Ausnahmen wieder die Regel: Für Syrer*innen werde die Rücküberstellung zurzeit faktisch ausgesetzt, teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im August 2015 mit. „Das Recht auf Asyl ist ein sehr komplexes System. Jeder darf sich davon selbst ein Bild machen, wie gerecht es ist. Ich möchte mir kein Urteil anmaßen“, beendet Pia schließlich den über einstündigen Workshop.

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