Vom Wohnen in Parkhäusern, Gebäudelücken und IKEA-Hütten

2015 werden so viele Geflüchtete erwartet wie noch nie – und dies stellt Deutschland vor bis dato ungeahnte Herausforderungen. Doch hierfür sind nicht nur politische Maßnahmen gefordert, sondern auch architektonische. Dennis Beltchikov präsentiert einige der Ideen, die sich kreative Köpfe ausgedacht haben.

Das Bundesministerium des Innern prognostizierte im August für 2015 einen Zustrom von 800.000 Geflüchteten in Deutschland, manche rechnen sogar mit Zahlen von 1,2 bis 1,5 Millionen. Neue und alternative Ideen für Unterbringungsmöglichkeiten sind von daher so gefordert wie noch nie.

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Dennis Beltchikov im Gespräch mit Georgios Stavropoulos (Foto: Benedikt Bungarten)

Neu und alternativ denken – dies tat auch Georgios Stavropolous, Architekturstudent an der Leibniz-Universität Hannover: „Unsere Aufgabenstellung forderte unkonventionelle Ideen.“ Im Rahmen des Projekts „Auf der Flucht“ unter der Leitung von Professor Jörg Friedrich konzipierten Stavropoulos und seine Kommiliton*innen prototypische Ideen für Geflüchtetenunterbringungen. Entgegen der eher isolierten Lage der Massenunterkünfte am Stadtrand stand im Fokus der Studierenden, Wohnraum vor allem in innerstädtischen Gegenden herzustellen: Integration statt Isolation.

„Bunte Lücken“

Haben Sie sich auch schon mal gefragt, weshalb man die in einigen Städten errichteten Baulücken zwischen zwei Häusern eigentlich nicht füllt? Stavropoulos und Kommilitonin Nelli Seibel haben es getan: Gemeinsam entwickelten sie das Konzept „Bunte Lücken“. Die Idee: Die Lücken einfach mit schmalen Häusern füllen und den Raum nutzen. Diese neue Häuser lassen die Durchfahrt im Erdgeschoss bestehen.

Manche dieser „Lückenhäuser“ könnten dann als Wohnraum für Geflüchtete genutzt werden, in anderen könnten die Kinderbetreuung oder Deutschkurse stattfinden. Dahinter steckt ein Integrationskonzept: „Da die Geflüchteten in ihrem Stadtteil nicht nur wohnen, sondern auch in die städtische Infrastruktur mit eingebunden sind, sind sie aktiv dazu aufgefordert, herauszugehen und sich dadurch zu integrieren“, erklärt Stavropoulos.

Wohnen im Parkhaus

Weitere Ideen der Student*innen sind unter anderem, ungenutzte Parkhäuser oder Züge in Güterbahnhöfen zu Wohnraum umzubauen. Durch die Massenanfertigung dieser sogenannten „Wohnmodule“ könnten Kosten eingespart werden. Außerdem würden diese Konzepte langfristig günstigen Wohnraum erzeugen, ist sich Stavropoulos sicher: „Der Zustrom an Geflüchteten wird sich auf Dauer verringern, unsere Häuser aber bleiben bestehen.“ Gerade angesichts des derzeit in Ballungszentren bestehenden Wohnungsmangels seien die Bauten auch nach dem Auszug der Geflüchteten rentabel. Ferner haben sich die Student*innen überlegt, schon bestehende öffentliche und gewerbliche Gebäude mit flachen Dächern um weitere Etagen aufzustocken. Hierzu erklärte sich sogar die Leibniz-Universität selbst bereit. Momentan werden dafür noch Investor*innen gesucht.

Förderung sozialer Durchmischung

Einen ähnlichen Gedanken des Aufstockens hatte auch Arno Brandlhuber, Berliner Architekt und Professor für Architektur und Stadtforschung an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Er möchte gezielt Luxus-Penthouses aufstocken. Dort könnten Geflüchtete wohnen, beziehungsweise längerfristig betrachtet auch allgemein sozialer Wohnungsbau entstehen, um einen „urbanen Kosmopolitismus“, also eine gesellschaftliche Durchmischung, zu erzielen. Dies ist unter anderem auch in „Dialogic City“, einer aktuellen Ausstellung in der Berlinischen Galerie zu seinem gleichnamigen Werk, zu sehen.

IKEA-Hütte à la Billy-Regal aufbauen

Aber auch große Konzerne setzen sich mit dem Thema Flüchtlingsunterbringung auseinander: Nach einem Bericht des „Weburbanist[en]“ hat die IKEA-Stiftung die Produktion von 10.000 Notunterkünften durch den UNHCR gefördert. Im Gegensatz zu den gebräuchlichen Zelten böten die 17 Quadratmeter großen, von IKEA selbst entwickelten Hütten Schutz vor Wind und Wetter. Ebenso hielten sie deutlich länger, so verspricht IKEA eine dreijährige Haltbarkeit. Überdies stelle eine auf dem Dach angebrachte Solarzelle im Notfall die Stromversorgung sicher. Wie für IKEA typisch, wird neben dem benötigten Werkzeug auch eine Anleitung zum Aufbau bereitgestellt, die durch Zeichnungen und damit sprachunabhängig zu verstehen sei.

Auf die Frage an Georgios Stavropoulos, mit welchen Barrieren man bei der Realisierung eher unkonventioneller Ideen zu kämpfen hätte, entgegnet er kurz und knapp: „Was uns hindern könnte? Vielleicht die Physik.“

Weitere Ideen der Architekturstudenten der Leibniz-Universität sind im Buch „Refugees welcome – Konzepte für eine menschenwürdige Architektur“ von Jörg Friedrich, Simon Takasaki, Peter Haslinger, Oliver Thiedmann, Christoph Borchers (Hg.) zu finden; erschienen im jovis Verlag, 2015, ISBN 978-3-86859-378-5, 28.00 €, nachzulesen.

Ausstellung „The Dialogic City: Berlin wird Berlin“ (nach dem gleichnamigen Buch) der Architekten Brandlhuber, Hertweck und Mayfried: Noch bis zum 16.03.2016 in der Berlinischen Galerie zu besichtigen.

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