Wenn der Kopf stärker ist als das Herz

Wie stark werden wir von Vorurteilen geleitet? Wie sehr dominieren uns Ängste vor dem Fremden? Juliane Kraus beschreibt in einer fiktiven Geschichte, wie es ist, wenn der Kopf verrückt spielt, aber das Herz am Ende siegt.

Es ist dunkel und ich lasse meinen Blick von rechts nach links wandern, als ich das Gebäude verlasse. Meinen Schal ziehe ich noch ein bisschen fester, so dass nur noch ein Minimum der eisigen Luft an meinen Körper gelangen kann. Dann atme ich noch einmal tief durch; ich fühle mich sicher, denn in meiner Tasche ertaste ich das Pfefferspray.

Es ist dunkel und ich befinde mich auf meinem Weg nach Hause; endlich abschalten nach einem stressigen Tag, von dem mir nun der Kopf schwirrt. Doch anstatt entspannt zu laufen kann ich nur an eines denken: Das Flüchtlingsheim, welches sich auf meinem Nachhauseweg befindet. Noch nie ist mir etwas passiert, noch nie wurde ich belästigt oder gar angegriffen, und trotzdem steht mein Kopf jedes Mal an die dieser Stelle vor einer Explosion von Vorurteilen, die sich dort auf Grund von Medien und dem täglichen Zeitungslesen angesammelt haben.

„Sofort redet er wie wild auf mich ein

Mein Blick ist gesenkt und ich laufe. Viel schneller als nötig, denn schnell bin ich außer Atem. Was ist wenn mich jemand sieht? Mich belästigt, angreift, überwältigt? Hätte ich doch nur die Stiefel  ohne Absatz angezogen, denke ich, als urplötzlich ein Mann mit langem Bart vor mir steht. Sofort redet er wie wild geworden auf mich ein, auf einer Sprache, die ich nicht verstehe. Meine Angst, nun an ihrem absoluten Höhepunkt angelangt, droht mich reaktionsunfähig zu machen. Was soll ich tun? Der Mann sieht panisch aus. Braucht er etwa meine Hilfe? Oder will er mich kidnappen? Anfassen? Vergewaltigen? Unbewusst schnellen meine Gedanken zurück an die Kölner Silvesternacht, die ich so unzählige Male im Fernsehen und dann in meinen schlimmsten Träumen nachempfunden habe. Für diese Männer gelten doch andere Regeln, oder? Sie denken doch Frauen haben andere Rechte, dass sie über sie verfügen können, oder? Mein Kopf wird schwer bei all diesen wirren Gedanken und ich verliere mich in einer gewaltigen Welle aus Vorurteilen. Ich gehe unter in dieser Welle, schmecke Salz, als heiße Tränen meine Wangen berühren. Ich höre mich noch sagen: “Do you need help?“, und dann falle ich, tiefer und tiefer, in ein riesiges schwarzes Loch.

„Ein bisschen panisch schaue ich mich um“

Im nächsten Moment spüre ich wie mich jemand auffängt. Es sind große warme Hände und nur einen Augenblick später befinde ich mich in einem Zelt auf einer weichen Matratze. Eine Frau mit langem Gewand und einem herzlichen Lächeln auf den Lippen bringt mir einen Tee, den ich dankend annehme. Ein bisschen panisch schaue ich mich in dieser ungewohnten Umgebung um. Da hinten entdecke ich ihn; den Mann der mir draußen begegnet ist und vor dem ich so eine unglaubliche Angst hatte. Mit einem Grinsen im Gesicht kommt er schnellen Schrittes auf mich zu. “You okay?“, fragt er mich, während er seine Hand auf meine Schulter legt. Vorsichtig nicke ich und ertappe mich, wie ein Lächeln über meine Lippen huscht.

“Let your heart quell your mind”, Deutschland, eine neue, bunte andere Heimat. Für alle.

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