Die Angst vor dem Wolf im Schafspelz

Die Angst vor IS-Kämpfern und Anschlägen in Deutschland ist groß, doch wie viele potentielle Terroristen verstecken sich tatsächlich unter den Flüchtlingen? Carolina Pfau hat mit dem Terrorismusexperten Florian Wätzel über die Angst vor Anschlägen gesprochen.

Sie kommen aus einem fremden Land, in dem Krieg herrscht. Ihre Kultur, Sprache und Religion ist meist eine andere als die unsere. Sie sind fremd und Fremdes macht uns Angst. Das Misstrauen gegen Flüchtlinge wird nicht weniger: Bei deutschen Polizeistellen gingen nach Informationen des Nachrichtendienstes vom „Focus“ aus der Bevölkerung bisher bereits über 250 Hinweise auf mögliche terroristische Absichten des sogenannten Islamischen Staates (IS) unter Flüchtlingen ein. Doch nur bei knapp über 20 Fällen sah man tatsächlich Handlungsbedarf.

„Wo Extremismus beginnt, lässt sich nur schwer sagen“, sagt Florian Wätzel. Er arbeitet beim Institut für Sicherheitspolitik (ISPK) an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel und beschäftigt sich mit Terrorismusforschung. Das ISPK widmet sich der sicherheitspolitischen Forschung. In seiner Arbeit betrachtet Florian Wätzel das Verhalten terroristischer Organisationen. „Allgemein vereinen alle extremistischen Tendenzen bestimmte Merkmale. Dazu gehören ein Alleinvertretungsanspruch, ein starker Dogmatismus, Intoleranz, Fanatismus und ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken. Sobald Extremisten zur Gewalt greifen, um ihre politischen oder religiösen Ziele zu erreichen, sprechen Wissenschaftler von Terrorismus.“
Das traf bei dem Großteil der beschuldigten Flüchtlinge nicht zu. Resultieren die Verdächtigungen also nur aus übertriebener Vorsicht und Verunsicherung? Nicht ganz: Der Verfassungsschutz gibt zu, den IS unterschätzt zu haben und vermutet, dass auch über den Weg der Flüchtlinge Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat nach Deutschland geschleust werden könnten. Allerdings sei das taktisch eher unklug, da es immer schwieriger wird nach Europa zu gelangen.

Die Medien bemühen häufig eine Katastrophen-Metaphorik

70 Prozent der Flüchtlinge haben bei der Einreise nach Deutschland keinen Pass. Bei dieser Masse an Menschen scheint es nicht unwahrscheinlich, dass sich auch der ein oder andere Extremist unter die Flüchtenden mischt. Pässe können notfalls auch gefälscht werden, wie im Fall der Terroristen der Paris-Attentate. Mit jedem Attentat, mit jedem Verdacht auf IS-Anhänger breitet sich das Gefühl von Hilflosigkeit aus. Die Katastrophen-Metaphorik tut ihr übriges: Die Medien berichten über eine Flüchtlingswelle, eine Flüchtlingslawine, eine Flüchtlingskatastrophe. Deutschland scheint überrollt, überfordert, verängstigt.

Doch wie begründet ist nun die Angst vor Terroristen unter Flüchtlingen? Darauf reagierte Florian Wätzel mit einer ehrlichen Antwort: „Wir wissen, dass sich Terroristen des Islamischen Staats unter den Flüchtlingsstrom gemischt haben, um nach Europa zu gelangen. Darunter waren auch einige Attentäter der Anschläge in Paris und Brüssel.“ Die Gefahr, dass Terroristen über die Flüchtlingsrouten einreisen, sei real, wenn auch sehr gering. „Hier ist es wichtig, deutlich zwischen Flüchtlingen, die ihrerseits vor dem Terror fliehen und in Europa Schutz suchen, und Terroristen zu unterscheiden, um einer Stigmatisierung der Flüchtlinge vorzubeugen.“ Eine Gefahr gehe vor allem von den sogenannten „Rückkehrern“ aus. „Die meisten Attentäter von Paris und Brüssel waren Europäer, die sich in Syrien dem Islamischen Staat angeschlossen hatten, bevor sie auf der Flüchtlingsroute wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind.“

Der Experte schätzt das Risiko als real, aber gering ein

Allerdings schätzt Florian Wätzel die Zahl der Terroristen, die bisher als Flüchtlinge getarnt nach Europa gekommen sind, als gering ein. Genaue Informationen gibt es nicht. Für Flüchtlinge sei es aber immer schwerer geworden, nach Europa zu gelangen, und mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen sinke auch das Risiko, das weitere Terroristen auf diesem Weg nach Europa kommen werden.
Wer dennoch Angst vor den zu uns kommenden Flüchtlingen hat, der läuft Gefahr, in den Fremdenhass abzurutschen. „Rechtsextreme Hetzer sind sich dessen natürlich bewusst und missbrauchen die Angst als Vorwand für ihren Hass auf Flüchtlinge. Der Unterschied zwischen Angst und Hass ist – vorausgesetzt es besteht keine unmittelbare Bedrohung – dass ein ängstlicher Mensch noch ein gewisses Maß an Empathie für sein Gegenüber empfinden kann, ein hassender Mensch kann dies nicht“, sagt Wätzel. Und genau diese Empathie gilt es zu behalten, denn der IS versucht Angst und Unsicherheit zu verbreiten um die Gesellschaft zu spalten. Dies bestätigt Florian Wätzel.

Zusammenhalt sei ein wichtiger Punkt im Kampf gegen den Islamischen Staat. „In Europa versucht der IS beispielsweise durch Terroranschläge den Hass der Mehrheitsgesellschaft gegen die muslimische Minderheit zu schüren. Fühlen sich die Muslime bedroht, so zumindest der perfide Plan des IS, laufen sie dem IS in die Arme. Sollten Gesellschaften oder eben Religionsgemeinschaften jedoch zusammenhalten, wird der IS nicht erfolgreich sein können“, erklärt der Experte abschließend.

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