„Wir wollen nicht dieses Mitleidsding“

Sauberes Trinkwasser für alle: Was als kleiner gemeinnütziger Verein begann, ist mittlerweile ein global bekanntes Netzwerk. Doch auch bei Viva con Agua läuft nicht immer alles rund.

Agua Bild
Leonie, Maren und Antonia engagieren sich in der Mainzer Gruppe von Viva con Agua. Foto: Nathalie Bockelt

663 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 2,4 Milliarden leben ohne eine vernünftige sanitäre Basisversorgung. Trotz Entwicklungshilfe und UN-Zielen sind die Zahlen anhaltend hoch. Der Verein Viva con Agua (Leben mit Wasser) mit dem einprägsamen blau-weißen Logo will das ändern.

Von der Idee zu Tausenden Unterstützern

Gegründet wurde Viva con Agua de Sankt Pauli e.V. im Jahr 2006 von Benjamin Adrion. Er war damals Spieler beim Zweitligisten FC St. Pauli und merkte ein Jahr zuvor bei einem Trainingslager auf Kuba, wie schlecht die Wasserversorgung in Entwicklungsländern sein kann. Wenig später beendete Adrion seine Profi-Karriere und widmete sich ganz Viva con Agua. Dabei konnte er auch auf die Unterstützung ehemaliger Mitspieler und St. Pauli-Freunde zählen, schnell stellte sich der Erfolg ein. 1,3 Millionen Euro Projektspenden sammelte Viva con Agua im vergangenen Jahr ein. Seit den Anfängen arbeitet der Verein eng mit der Welthungerhilfe zusammen, die die Projekte vor Ort umsetzt.

Das Besonders an Viva con Agua sei das offene Netzwerk, das Freiwilligen ganz ungezwungen die Möglichkeit gebe, sich zu engagieren, erzählt Leonie.  Leonie ist 26, studiert noch und vertritt den Verein auf der Zukunftstour in Mainz. Zu Viva con Agua kam sie eher zufällig: „Ich bin sozial und umweltinteressiert wie fast alle Studis.“ Seit eineinhalb Jahren ist sie dabei und fast jede Woche auf Treffen.

„Jeder macht, so viel er kann“, erklärt Leonie, aber „jede Gruppe hat einen harten Kern.“ Damit meint sie sich und andere Mitglieder der sogenannten Local Crews, die oft und viel Energie in die regionalen Netzwerke stecken. Bei den Mainzer Treffen seien dennoch meist so um die 30 Leute dabei. Im gesamten deutschsprachigen Raum gibt es inzwischen knapp 60 regionale Gruppen, mehr als 12 000 Unterstützer*innen engagieren sich im Verein.

Aktionen statt Emails

Mit ihren Projekten verzichten die Viva con Agua-Gruppen auf die Macht der Tränendrüse, die der Arbeit mancher Charity-Organisationen anzuhaften scheint. „Wir wollen nicht dieses Mitleidsding“, betont Leonie, „wir machen nur, worauf wir Lust haben.“ Dazu gehört vor allem Spenden sammeln auf Festivals oder Konzerten. Im Wiesbadener Schlachthof, einer beliebten Location für Konzerte, Flohmärkte und Poetry Slams, ist Viva con Agua ein gern gesehener Gast. Auch an Schulen sind Leonie und ihre Mitstreiter*innen immer wieder, um in Vorträgen oder Planspielen für das Projekt zu werben. „Es ist viel Arbeit, das am Leben zu erhalten.“

Zu viel Kommerz?

Neben der Arbeit der Ehrenamtlichen erkundet der Verein Viva con Agua seit einiger Zeit auch andere Wirkungsfelder. Erste Social Business-Ideen wurden bereits umgesetzt, etwa der Verkauf von Charity-Mineralwasserflaschen. Diese waren zunächst nur auf Konzerten und im Raum Hamburg verbreitet, heute stehen sie bei vielen Startups auf den Konferenztischen. Im Frühjahr 2016 stellte Viva con Agua zudem eigenes Toilettenpapier vor, 100 000 Packungen hatte das Unternehmen mit den Komposttoiletten-Hersteller Goldeimer produziert. Mit dem Verkauf sammelte Viva con Agua Spenden für Sanitäranlagen in Äthiopien. Und im Avocado Store, einem bekannten Onlineshop für nachhaltige Mode und Lifestyle-Objekte, gibt es Pullis und T-Shirts mit dem Logo des Vereins zu kaufen.

Reflektieren und weitermachen

Doch mit dem Wachstum der Bewegung wuchsen auch die internen Meinungsverschiedenheiten über die interne Ausrichtung der ehrenamtlichen Arbeit. Muss man wirklich Wasser verkaufen, obwohl es kaum Erlös abwirft? Nicht alle finden das, sagt Leonie, erklärt aber auch, dass Flaschen und Klopapier eher dazu dienen, die Bekanntheit des Projektes zu erhöhen, als hohe Erträge zu sammeln. Das laufe immer noch über die Spendenarbeit der Crews. Auch die Ungezwungenheit des Engagements wird hin und wieder zum Problem. Einerseits senkt sie die Hemmschwelle und erleichtert es, neue Unterstützer*innen zu gewinnen. Andererseits lösen sich Gruppen immer wieder auf, weil Freiwillige wegziehen oder schlicht Zeit und Anreize fehlen, Spendenaktionen auf die Beine zu stellen.

Dennoch legt Viva con Agua den Fokus nach vorne. Seit einiger Zeit knüpft der Verein beispielsweise enge Kontakte zu Unterstützer*innen in Uganda und hat dort eine eigene Organisation gegründet, die selbst Spenden sammelt und Projekte plant. Ganz nach dem Motto des Vereins: „Wasser für alle – Alle für Wasser“.

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